top of page

Reizdarm und Neurodiversität

Neurodiverse Menschen sind statistisch betrachtet häufiger von Reizdarmbeschwerden betroffen. Warum das so ist und was das für dich bedeuten kann, erfährst du im Text.



Wir sind alle unterschiedlich gebaut, von Körpergröße, Geschlecht (-sidentität), Augenfarbe bis hin zu unserem Nervensystem. Während manche Veranlagungen äußerlich sichtbar sind, tragen wir auch innerlich viele Variationen in uns.


Neurodiversität bezeichnet die Vielfalt der menschlichen Gehirnstrukturen und Denkweisen.

Unsere Gehirne verarbeiten Informationen sehr unterschiedlich, sodass wir in unserer Wahrnehmung und in Verhaltensweisen variieren. Neben ADHS und Autismus werden manchmal auch Hochsensibilität und Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) unter dem Begriff Neurodiversität erfasst.


Autismus

Menschen auf dem autistischen Spektrum nehmen die Welt oft anders wahr als neurotypische Menschen und haben häufig eine hohe Sensibilität gegenüber Umweltreizen wie Geräuschen, Licht oder Berührungen. Diese Reizüberflutung kann zu Stress und Überforderung führen. Viele autistische Menschen empfinden soziale Interaktionen, Kommunikation und die Interpretation menschlichen Verhaltens als herausfordernd. Zudem haben viele Menschen mit Autismus spezielle Interessen und ein stark ausgeprägtes Bedürfnis nach festen Routinen, was ihnen Sicherheit gibt. Veränderungen oder Unvorhergesehenes können oft zu großer Belastung führen.


ADHS

Die recht irreführende Bezeichnung Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung zeigt sich bei vielen Menschen eher als Unterschied in der Aufmerksamkeitsspanne denn als "Defizit". Viele Menschen mit ADHS können sich bei spannenden Themen und Tätigkeiten stark vertiefen (Hyperfokus), während sie bei langweiligen Aufgaben schneller gedanklich abdriften. Hinzukommt für viele eine hohe Emotionalität bis hin zur Impulsivität, die die Selbstregulation erschwert. Menschen mit ADHS haben oft eine hohe Sensibilität für äußere Reize und eine erhöhte emotionale Reaktivität, was zu einer Überlastung des Nervensystems führen kann. Sie sind oft besonders anfällig für Stress, was wiederum die Aufmerksamkeit und die Fähigkeit zur Organisation beeinträchtigen kann.


Hochsensibilität

Der Begriff beschreibt die verstärkte Wahrnehmung von Reizen wie Licht, Geräuschen, Gerüchen, Temperaturen und kann sich auch auf zwischenmenschliche Interaktionen beziehen. Erhöhte Sensibilität kann mit Autismus oder ADHS auftreten, aber eben auch unabhängig davon. Starke Stressbelastung oder Erkrankungen wie HPU und MCAS können sich ebenfalls mit Hochsensibilität präsentieren.



Und was hat der Darm damit zu tun?


Menschen mit ADHS sind in hohem Maße von emotionaler und kognitiver Überlastung betroffen, was Stress und innere Unruhe zur Folge hat. In wissenschaftlichen Studien wurde gezeigt, dass etwa 40-50% der Menschen mit ADHS auch an Magen-Darm-Beschwerden leiden, insbesondere an "Reizdarm". Eine Studie aus dem Jahr 2018, die in der Journal of Attention Disorders veröffentlicht wurde, fand heraus, dass Menschen mit ADHS ein signifikant höheres Risiko haben, an funktionellen Magen-Darm-Störungen zu erkranken. Die Forscher:innen vermuteten, dass die häufig erhöhte Stressbelastung und die damit verbundene Aktivierung des „Kampf-oder-Flucht“-Systems (Sympathikus) das Verdauungssystem destabilisieren. Diese Überaktivierung kann die Motilität des Darms stören und zu den typischen Symptomen des Reizdarms führen. Zusätzlich gibt es Hinweise darauf, dass die neurobiologischen Unterschiede bei ADHS – etwa eine veränderte Dopamin- und Serotoninproduktion – ebenfalls die Funktion des Verdauungssystems beeinträchtigen können. Serotonin spielt eine zentrale Rolle im Verdauungstrakt, wo etwa 90% des gesamten Serotonins im Körper produziert werden. Ein Ungleichgewicht in der Produktion von Neurotransmittern wie Serotonin könnte dazu beitragen, dass die Motilität gestört ist und zu Symptome wie Bauchschmerzen und Blähungen führen bis hin zur Entstehung einer SIBO.


Auch bei Menschen auf dem autistischen Spektrum treten häufiger Verdauungsbeschwerden auf. Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020, veröffentlicht in Autism Research, zeigte, dass bis zu 70% der autistischen Erwachsenen und Kinder gastrointestinale Probleme haben. Dies könnte mit der erhöhten Sensibilität gegenüber Umweltreizen zusammenhängen, die für viele Menschen auf dem autistischen Spektrum typisch ist. Autistische Menschen erleben oft eine höhere Empfindlichkeit gegenüber inneren und äußeren Reizen, was zu einer erhöhten Aktivierung des sympathischen Nervensystems führen kann. Die häufige Aktivierung des Sympathikus hemmt die Verdauung und kann so Beschwerden verursachen. (Genauer kannst du das hier nachlesen.)

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Ernährung. Viele autistische Menschen haben eingeschränkte Nahrungsmittelvorlieben oder -gewohnheiten, was zu einer unausgewogenen Ernährung führen kann. Dies kann nicht nur die Nährstoffversorgung beeinträchtigen, sondern auch das Wachstum von nützlichen Darmbakterien hemmen, die für einen gesunden Darm entscheidend sind.



Was sind die therapeutischen Konsequenzen?


Eine ganzheitliche Behandlung umfasst immer den Zusammenhang zwischen psychischer und körperlicher Gesundheit. Neben der individuellen Behandlung körperlicher Ursachen (typsiche Ursachen von Reizdarm kannst du hier nachlesen) bedarf es auch langfristiger Strategien für den Alltag, die das Risiko für Rückfälle reduzieren. Für Menschen mit ADHS oder/und Autismus ist das Erlernen eines bewussten Umgangs mit den eigenen Stressoren ein wichtiger Schritt für mehr Wohlbefinden. Entspannungstechniken, Selbstorganisationsskills, regelmäßige Mahlzeiten, gute Schlafhygiene, Bewegung und der Ausgleich stressbedingter Nährstoffmängel können wichtige Säulen für die langfristige Gesunderhaltung des Verdauungstrakt sein.





 
 
 

Comments


bottom of page